Im Juni 2016 stehe ich im Bürgerbüro der Stadt Spaichingen und melde zum ersten Mal in meinem Leben ein Gewerbe an. Zu diesem Zeitpunkt bin ich vollgepumpt mit Optimismus oder anders gesagt: Verdammt naiv.
Auf den ersten Eindruck ist ja alles einfach: Ich gebe meinen Namen an, gebe meiner Firma einen Namen und ordne sie einer Branche zu. Das Formular gebe ich ab und zack: Ein Unternehmen ist geboren.
Als Ingenieur, der nach seinen ersten Jahren als Angestellter meint, dass er alles besser kann, gehe ich einfach mal drauf los und erzähle dann allen: „Ich hab mich jetzt nebenberuflich selbständig gemacht!“
Und dann werde ich mit Fragen konfrontiert:
Was ist dein Produkt, Geschäftsmodell, deine Positionierung, dein Minimal Viable Product, dein Unique Selling Proposal, deine Zielgruppe? Welches Problem deiner Zielgruppe löst du? Wie macht es deine Konkurrenz? Fährst du eine Niedrig-, Mittel- oder Hochpreisstrategie? Welchen Steuerberater hast du? Nutzt du direkt die Umsatzsteuer oder die Kleinunternehmerregelung?
Ehrlich gesagt, hatte ich über all das zu keinem Zeitpunkt nachgedacht. Ich wusste nur, dass ich mein eigenes Ding machen möchte. Ach ja, und dann will das Finanzamt auch noch Informationen und beginnt eine Art der „Partnerschaft“ mit mir, die mit dem Unternehmertum zwangsläufig einhergeht.
Schlimmer noch: In meinem direkten Umfeld gibt es so gut wie niemanden, der selbständig oder Unternehmer ist. Niemanden, den ich wirklich Fragen kann. Aber das hätte ich gebraucht. Ich hätte den Gründergarten sehr gut brauchen können! Leider gibt es ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Also muss ich da selbst durch und mir Stück für Stück die Antworten suchen.
In meinem ersten Jahr mache ich schließlich exakt 170€ Umsatz. Meine anfängliche Gründungseuphorie trifft zwangsläufig auf den nüchternen Boden der Tatsachen, alias „Realität“. Der Vorteil nebenberuflich zu gründen: Die finanziellen Einkünfte aus dem Hauptjob sichern mir meine Existenz und nehmen mir den Druck. Der Nachteil: Zeit – zum einen, weil ich erst nach Feierabend etwas für meine Firma tun kann, zum anderen, weil meine Kunden oft nur dann Zeit haben, wenn ich im Hauptjob bin. So geht auch der ein oder andere Urlaubstag für die Selbständigkeit drauf.
Weitere Hürden begegnen mir in Sachen Strategie und Vertrieb. Aus meinem ursprünglich gelernten Beruf heraus hatte ich damit kaum Berührungspunkte. Schöne Ideen entwickeln konnte ich und meine Dienstleistung durchführen auch. Doch systematisch und nachhaltig Aufträge für meine Dienstleistung gewinnen, die Kunden nicht nur Nutzen brachten, sondern für den sie auch bereit waren eine sinnvolle Menge Geld zu investieren, fällt mir schwer. Erst durch diese Konfrontation fällt mir auf, was ich alles noch nicht weiß und kann. Aber auch genau deshalb würde ich jedem empfehlen sich mit etwas selbständig zu machen. Diese Vielzahl an Perspektiven, die ich einnehmen muss und das Verständnis, das ich für mich daraus ziehen kann, hilft mir heute in vielerlei Hinsicht bei so ziemlich allem, was ich tue.
Mittlerweile bin ich mehrfacher Gründer und lerne von Mal zu Mal, wie es besser geht.
Ich bin eben nicht nur zuständig für einen Teilbereich einer Abteilung eines Unternehmens. Ich bin das Unternehmen! Und somit zuständig für alles: Vertrieb, Einkauf, Buchhaltung, Entwicklung, Produktion, Geschäftsführung, Qualitätsmanagement, Logistik, Marketing. Was ich nicht kann, kann ich lernen oder andere Experten dazu mit ins Boot holen.
Auf dem Weg bis heute wuchs daher auch mein Netzwerk von Menschen, die alle etwas können, was ich nicht oder noch nicht kann und weiß. Und ich habe vor allem die Gewissheit: Ich bin nicht allein und für alles gibt es eine Lösung. Also ist nie die Frage, ob etwas geht, sondern nur, wie es geht und wen ich dafür brauche.
Vor allem lehrte mich das Gründen, wie direkt meine eigenen Handlungen zu Ergebnissen führen und damit, dass ich direkten Einfluss habe und dass ein großer Anteil der Ergebnisse meines Lebens unmittelbar von meinen eigenen Handlungen abhängig sind. Das gibt mir Selbstvertrauen und das Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Weil ich dadurch heute also weiß, wie groß mein eigener Anteil an der Qualität meines beruflichen und privaten Lebens ist, motiviert es mich aus dem, was ich vor mir habe, etwas zu schaffen, von dem ich glaube, dass es für mich und auch für andere wertvoll ist.
Und in der Zukunft möchte ich weiter lernen. Ich möchte persönlich wachsen und auch mein Unternehmen weiterwachsen lassen. Und all das, indem ich herausfinde, wie ich für immer mehr Kunden immer höheren Wert schaffen kann. Dabei steigt die Verantwortung und die Komplexität, die ich beherrschen muss.
Kurz: Lernen, Dienen, Wachsen.
Mein Weg als Gründer war sicher nicht der schlauste und sicher nicht der einfachste. Und dennoch hat es funktioniert! Von den Idealvorstellungen habe ich mich schon lange verabschiedet und heute erkannt und akzeptiert, dass Unternehmertum ein Lebensstil ist, der sich vor allem aus dem Lösen von Problemen ernährt. Wenn man daran Freude findet, macht auch das Unternehmertum Spaß. Und je besser ich darin werde, umso schöner ist es.
Wenn ich mich als Pflanze beschreiben müsste, dann passt eine Monstera wohl sehr gut zu mir. Sie hat einen hohen Wiedererkennungswert, lässt sich auch von unperfekten Verhältnissen nicht kleinkriegen, ist ziemlich wachstumsfreudig und findet immer ihren Weg.